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- Dada
- Der Oberdada hatte seinen Einzug in Dresden angekündigt. Einen Vortrag über Dada. Hausmann, der Weltdada, und Huelsenbeck, der Dadasoph, begleiteten ihn als Hofstaat. Und jedermann erwartet sich ein Fest. Viele Hunderte stürmten den Saal der Kaufmannschaft. Vorher die Garderoben. Hunderte versuchten - es gab längst keine Karten mehr -, den Einlaß zu erzwingen. So überfüllte sich der große Saal. Alle Notausgänge waren alsbald verstopft. Zwischen den engen Stuhlreihen alle Gänge mit Menschen verkeilt. Weil über Dada geredet werden sollte. Vom Oberdada. Viele hofften auf das erlösende Wort. Der Unsinn des Daseins - meinten sie - werde hier feierlich sanktioniert oder gerichtet vom Unsinn des Dadaseins. Dies - glaubten Glaubige - müsse sich irgendwie versteckt sinnvoll vollziehen. Dann der Heerbann der Harmlosen und Neugierigen. Dazwischen die Adepten und die Geweihten. Die Konjunkturgewinnler der neuesten Richtung, stets bereit, sich morgen auf die allerneueste zu stürzen und die neueste von gestern mit ihrem geschriebenen und geschwätzten Unflat zu bombardieren. Die Maulhelden der Kunst. Der Gehirnfatzke mit seinem begeisterungsblöden Anhängsel. Alles, was aus seinem Nichtskönnen ein Geschäftchen gemacht hat, indem es das Können in jedem Fall beschimpft. Ein liebenswürdiger Kreis. Mit sympathischen Frauengestalten. Man braucht nur zu sagen, daß man Goethe für einen langweiligen, übeln Bourgeois halte, um Vertrauen zu gewinnen. Oder daß Kulicke ein Dichter sei. Oder man verbinde beides auf kräftige Art. Etwa: "Was soll Uns das Armloch Schiller gegen Unsern strahlenden Kulicke?!" Worauf man Ehrenmitglied wird ... Dann gab es noch die völlig Naiven. Die Leute, die sich einen Kabarettspaß vorgestellt, dafür ihr gutes Geld ausgegeben hatten. Die waren dem Ding auf der Spur, ohne es zu ahnen. Nur, daß man ihnen die erbärmlichste, augenlose Conférencier-Wassersuppe schlechter Berliner Nachtbuden aufwärmte. Worauf sie für das Zeug dankten und "Krach machten". Eine wahre Hetz für die, die überhaupt nur gekommen waren, um Krach zu machen.
- Es begann mit Trampeln, weil Dada nicht erschien. Schließlich traten nach einem Grammophonvorspiel die berlinischen Jünglinge mit dem breiten, schwäbischen Oberdada Baader heraus, rauchten Zigaretten und redeten, redeten, redeten ... Von dem Weltsiegeslauf des Dada, von allem, was sie verneinten. Mit auffälliger Wichtigkeit wiederholten sie andauernd die Versicherung, daß sie auch den Geist verneinten. (Wovon man nach den ersten zehn Minuten ohne weiteres innig überzeugt war.) Was hätte man erwartet? Jauchzende Vernichtung gespreizter Autoritäten durch jugendliche Menschen. Zerstörungslust, die sich an Kitschpyramiden und Kulturprotzenbauten austobt. Nil admirari und befreiendes Gelächter. So gewiß falsche Seligkeiten zerstören eine Seligkeit ist - man hatte sich für Dada erhitzt, wenn er den Sieg des Unsinns über den Unsinn auch nur versucht hätte. Indessen rauchten sie Zigretten und redeten, redeten, redeten ... Ohne Geist, ohne Witz, ohne Einfall. Auf diesen Einwand entgegnen sie, daß sie Geist, Witz, Einfälle ebenso verneinen wie alles andre. Sie geben Erklärungen ab, daß sie beispielsweise auch den Kommunismus und den Expressionismus, die Bildung und die Kultur verneinen. Sie stellen die Welt auf den Kopf. Angeblich. Aber da es ihr Kopf ist, kommt nichts dabei heraus.
- Einer verliest ein Feuilleton. Aus einem Zeitungsausschnitt. Darin fließt wenigstens etwas Galle. Sogar von dem verneinten Geist flattern Fetzen daraus auf. Aber dazwischen fördert man die Mitwirkung des Publikums. Man hat Tricks. Wenn der Weltdada nicht weiter kann, scheinbar, sagt der Oberdada: "Du kannst doch nicht jetzt schon eine Kunstpause machen!" Oder der Weltdada hat sein Manuskript vergessen und holt es herbei. Vaschtehste! Alles "improvisiert". Neckischer Zufall. Die Herren Conférenciers üben sich in der Rolle des seligen Danny Gürtler und des Groben Gottlieb aus der Taubenstraße. "Stimmung, he!" Aber sie machen es langweilig. Und beim Groben Gottlieb gab es Kartoffelpuffer. Die Langeweile ist offenbar das einzige, was sie nicht verneinen.
- Dies sei sieghafter Unsinn? Der Verdacht wohlberechneter Spekulation breitet sich aus. Weil Dada gar nicht Dada ist. Sie fordern zum Pfeifen, zu faulen Äpfeln, zu jeder "Mitwirkung" heraus. Sie lesen brüllend ein Simultan-Gedicht. Aber schließlich das Feuilleton über Dada. Man erfährt einiges: die deutschen Dichter von Schiller bis Werfel, von Goethe bis Hasenclever gehören in die Abortgrube, höchstens als eine endlose Rolle Klosettpapier sind sie verwendbar. Geistvoller Unsinn, wie? Aber den Geist verneinen sie ja auch. - Da tritt in einem Höllenlärm brüllender Stimmen, Hupen, Trillerpfeifen, plötzlich ein furchtbar ernster Mensch auf das Podium. Mit einem ruhigen Griff nimmt er das Papier dem Weltdada - oder war es der Dadasoph? - aus der Hand, wirft es zerknüllt hin, wendet sich an die brüllende Menschenflut: "Wir sollen das Volk Goethes sein? Pfui!" Da geht ein Höllenlärm los. Eine Schar stürmt das Podium. Man wird handgreiflich. Es wird regelrecht geholzt. Der Opernsänger Burg, der zur Ruhe mahnen will, wird heruntergeworfen. Stühle fallen reihenweise, Frauen kreischen auf. Wieder purzelt einer ins Parkett.
Der Tumult dauert wohl dreiviertel Stunden. Witzbolde lösen Ernsthafte ab, die mit Recht sagen, so dürfe man sich nicht benehmen. Aber die Enttäuschten schreien: "Diebe, Betrüger, Polizei!" Die Polizei erscheint. Zwei Gendarmen schauen sich verblüfft und ratlos an. Offenbar sind sie zu dem richtigen Ergebnis gekommen, daß sie weder Pöbel zu erziehen, noch freiwillig Verrückte zu betreuen da sind. Man wählt einen Alterspräsidenten. Er bleibt unverständlich. Schließlich, nachdem sich der Oberdada heiser gebrüllt und erklärt hat, die Dadaisten seien theoretisch bereit, das Eintrittsgeld zurückzugeben, wenn man sie dafür auf einige Wochen in Kost und Logis nehme, nach zwei Stunden anmaßender Langeweile und schlechten Benehmens verlassen die Massen langsam den Saal. - Der Rest ist Ekel. Über das gespreizte Unvermögen zu befreiendem Unsinn. Über die "Mitwirkung" des Publikums. Man hätte diese armseligen Vertreter dadaistischer Überlegenheit durch ruhiges Zuhören in die greulichste Verlegenheit gebracht. Und dann hätte man sie totlachen können. Aber man dürfte sie nicht verprügeln. Denn so hat man beinahe Martyrer aus smarten Unternehmern gemacht.
- Der Rest ist Ekel. Ekel über die Zierbengel der "geistigen" Revolution und ihre Mäcene und Mäcenatinnen mit dem überlegenen Verständnis für die morgen neueste, vorläufig noch unbekannte, unbenannte "Richtung". Sie hatten sich so'n bischen "Grüner Kakadu" erwartet. Auf ihre Art. Wie sie auch den Spartakismus "verstehen" und hätscheln, während sie natürlich das Steuerzahlen als eine bürgerliche Verkommenheit verächtlich verneinen. Erlösender Unsinn wäre ja auch Befreiung van diesem Kunst- und Bildungspöbel gewesen. Dazu kam es nicht. Weil Dada sich gänzlich impotent erwies sogar zu Dada. Schlechte Conférenciers, Langeweile, Holzerei, Rüpelei. Der Rest ist Ekel ... Oder, ein Vorschlag: Wie wäre es, wenn man den Geist ausnahmsweise nicht verneinte und die Tausende, die da für Eintrittsgelder für üble Sensation verpulvert werden, den armen Menschen gäbe, die zwar nicht so modern sind, Goethe und Schiller und Werfel und Hasenclever mit dem Klosett in Verbindung zu bringen, aber nichts zu essen haben?
- Julius Ferdinand Wolff
- TEXT CREDITS
Julius Ferdinand Wolff, 'Dada', in Dresdner Neueste Nachrichten January 21, 1920. Reprinted in Karin Füllner, Dada Berlin in Zeitungen. Gedächtnisfeiern und Skandale. Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunkt MuK 43 (Forschungsschwerpunkt MuK an der Universität - Gesamthochschule Siegen : Siegen 1986) 46-48.